Louis Stümmler, Sander Krug Sander Krug Rückblick auf eine historische Restauration in Paderborn-Sande

Bedauerlicherweise wurde zur damaligen Zeit kein Gästebuch geführt; bekannt ist aber, dass neben dem Kronprinzen von Preußen (1. Oktober 1833) auch Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1802) und Kaiser Wilhelm III., sowie - nicht nur einmal - Johann Wolfgang von Goethe im „Sander Krug“ zu Gast waren.

Zum „Sander Krug“ gehörte auch eine eigene Brauerei. Das im Jahr 1700 errichtete Brauhaus blieb bis zum Sommer 1923 erhalten. Gegenüber dem großen Gasthaus befand sich ein weiteres langgestrecktes Gebäude, die so genannte Wagenremise. Die hierin befindlichen Pferdeställe und Unterkünfte wurden von der „Personenpost Paderborn-Wiedenbrück“ genutzt, die im „Sander Krug“ eine Haltestelle unterhielt. Hier wurden auch die Pferde der durchfahrenden Postkutschen gewechselt. Die Wagenremise musste 1959 dem Neubau des „Sander Krug“ weichen. Sie wurde teilweise demontiert und im Heimathaus Gesseln weiter verwendet.

Im Jahr 1880 wurde im „Sander Krug“ eine so genannte Posthilfsstelle eingerichtet, die erst am  1. Oktober 1929 zu einer eigenständigen Poststelle wurde. Bis zu ihrer überraschenden Schließung am 17. Dezember 1994 befand sie sich - mit einer Unterbrechung - in den Räumen des „Sander Krug“.

Schon 1899 erhielt der „Sander Krug“ einen eigenen Telefonanschluss und war somit die erste „Fernsprechstelle“ in Sande. Die Einrichtung des Anschlusses erfolgte auf Veranlassung des Wasserwirtschaftsamtes in Hamm, in dessen Auftrag die Betreiberfamilie schon seit 1848 die Pegelbeobachtungen der Lippe durchführte. Durch die Installation des Fernsprechanschlusses konnten die Wasserstandsmeldungen von diesem Zeitpunkt an täglich und unmittelbar erstattet werden.

Während des Ersten Weltkrieges waren im Saal des „Sander Krug“ französische Kriegsgefangene untergebracht. Die Fenster waren mit Stacheldraht abgesichert. Auf einem kleinen Platz im Freien vor dem Saal, der mit einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben war, konnten sich die Gefangenen die Beine vertreten. Die etwa 50 Kriegsgefangenen waren an Werktagen den örtlichen Bauern zur Mithilfe in der Landwirtschaft zugeteilt.

Kurz nach Kriegsende eröffnete die Inhaberfamilie ein Lebensmittelgeschäft im „Sander Krug“.

Ende 1942 wurde im „Sander Krug“ das Gemeindebüro eingerichtet, in dem Lebensmittelmarken ausgegeben wurden und der Bürgermeister seine Sprechstunden abhielt.

Am Ostermontag 1945 wurde Sande von amerikanischen Truppen eingenommen, die auf dem Gelände des „Sander Krug“ in Stellung gingen und von hier aus Schloss Neuhaus unter Beschuss nahmen.


„Vier knorrige alte Linden spendeten dem großen zweistöckigen Haus von Südwesten her Schatten. Der Gastwirt Gottfried Günther saß hier oft bei schönem Wetter an einem Tisch vor dem Gaststätteneingang.

Der langgestreckte Fachwerkbau maß gut 40 mal 20 Schritte. Betrat man das Haus durch den Gaststätteneingang, befand man sich in einem großen, hohen Vorraum, der mit Tischen, Stühlen und langen Sitzbänken an der Wand ausgestattet war. Ein großes Wandgemälde zeigte eine Wasserpumpe und einen Bierbrauer mit einer Lederschürze, der mit dem Finger auf den Wandspruch „Hier wird nicht gepumpt!“ deutete. Rechts neben diesem Vorraum befanden sich die Schankstube und zwei kleinere Hinterräume. (...)

Auf der linken Seite des Vorraums war in einem weiteren Zimmer das örtliche Postamt untergebracht, durch das man einen kleinen Saal mit mehreren Nebenräumen  erreichen konnte.

Dieser Saal, der etwa eine Größe von 12 mal 8 Metern maß, war zur damaligen Zeit der einzige größere Raum im Ort, in dem Versammlungen und andere Veranstaltungen abgehalten werden konnten. Ein Großteil Heimatgeschichte und Heimatpolitik ist hier geschmiedet worden. (...)

Die fünf Außenfenster dieses Saales waren mit einer Bleiverglasung versehen, deren einzelne Scheiben etwa 20 mal 20 Zentimeter groß waren. Ein Teil dieser Scheiben war mit Gravuren (...) aus dem Napoleonischen Krieg bearbeitet. Diese Scheiben (...) wurden kurz vor dem Abriß des Gebäudes von Unbekannten mutwillig zerstört (...).“

(Zitiert aus der Niederschrift des früheren Ortsheimatpflegers Joseph Leiwen

zur Geschichte des „Sander Krug“, 1982)


Das alte Gebäude des „Sander Krug“ wurde durch seine Lage an einer scharfen Kurve der mehr und mehr befahrenen Bundesstraße 64 in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts immer häufiger zum Ort tragischer Verkehrsunfälle, bei denen das Haus selbst mehrmals schwer beschädigt wurde. Der wohl folgenreichste Verkehrsunfall wurde am frühen Morgen des Rosen-montags 1959 durch einen in das Gebäude fahrenden LKW ausgelöst und bedeutete für das 1782 fertig gestellte Gebäude das endgültige Aus. Der LKW durchdrang die Außenwand und kam etwa zwei Meter weit im Gastraum zum Stehen.

Am 7. September des gleichen Jahres begann der Neubau des „Sander Krug“; im Juni 1960 wurden Gaststätte und Lebensmittelgeschäft im neuen Gebäude eröffnet.

Am 5. September 1969 wurde das historische Gebäude infolge eines weiteren schweren Verkehrsunfalls massiv beschädigt und infolgedessen am 12. Mai 1972 abgerissen. Teile des Hauses wurden in verschiedenen Museen wieder verwendet.

Mit der Schließung der Gaststätte am 30. Juni 1997 endet die dreihundertjährige Geschichte der Restauration „Sander Krug“. Nach dem Umbau eröffnete an dieser Stelle am 3. Oktober 1997 die „Apotheke am Lippesee“.


1. Weltkrieg 2. Weltkrieg

Beschädigungen und Abriss

frühes „Hightech“

Zum Vergrößern mit der Maus auf das Bild zeigen.

Die alte Lippe-Brücke Die frühere Lippebrücke frühe A-Promis im „Sander Krug““ Das Brauhaus von 1700